Dinkel ist nicht gleich Dinkel

Im Verkaufsregal gibt es eine immer größere Auswahl an glutenfreien Lebensmitteln, da viele Menschen über Unverträglichkeitsreaktionen klagen. Auch bei uns taucht immer wieder die Frage auf, ob unsere Dinkel-Teigwaren „reinen Dinkel“ enthalten und auch von Menschen vertragen werden, die eine Weizenunverträglichkeit haben. Deshalb widmen wir uns heute ganz dem Dinkel. Lernen Sie mehr über die alte Kulturpflanze und den Zusammenhang zur Weizenunverträglichkeit!

 

Züchtung von Kulturpflanzen

Die Pflanzenzüchtung hat eine lange Tradition. Schon vor etwa 12.000 Jahren begannen die Menschen Urformen des Weizens auszusäen. Dabei wählten sie besonders ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzen aus, die sie im nächsten Jahr erneut anbauten. Diese „Auslesezüchtung“ führte zu höheren Erträgen, einer besseren Qualität und gesünderen Pflanzen. Eine wissenschaftlich fundierte systematische Pflanzenzüchtung setzte später mit dem Zeitalter der Industrialisierung ein.
Ziel der Züchtung ist die genetische Veränderung von Pflanzenpopulationen zur Verbesserung biologischer und ökonomischer Eigenschaften. Dies geschieht durch Pflanzenauslese, Saatgutbehandlung oder Kreuzung mit nachfolgender Auslese von Tochterpflanzen für den nächsten Züchtungszyklus oder der anschließenden Vermehrung als Saatgut einer neuen Pflanzensorte (Saatzucht).
Zwischen der biodynamischen und der konventionellen Pflanzenzüchtung gibt es sehr große Unterschiede. Der biodynamischen Pflanzenzüchtung geht es um die Weiterentwicklung der Kulturpflanzenvielfalt mit dem Ziel, dass die gezüchteten Sorten den körperlichen und ethischen Ansprüchen und Bedürfnissen der Menschen langfristig dienlich sind. Die grundlegenden Methoden sind durch Demeter-Richtlinien festgelegt. Darin finden sich bewusst gewählte Restriktionen. Sie interessieren sich für die biologische Züchtung und wollen noch mehr dazu erfahren? Unter http://getreidezuechtung.ch/zuechtung/zielsetzung-und-leitbilder finden Sie viele Informationen dazu.

 

Dinkel, das „Urgetreide“?

Viele Menschen vertragen Dinkel besser als Weizen. Oft wird aufgrund der problematischen Verträglichkeit ein Abgrenzungskriterium gesucht und auf den Begriff „Urgetreide“ zurückgegriffen, da sich dieser gut vermarkten lässt. Neuere Forschungen zeigen allerdings, dass der europäische Dinkel jünger ist als unser Brotweizen. Mit sehr großer Sicherheit kann man auch sagen, dass Dinkel aus einer Kreuzung zwischen Triticum compactum (Zwergweizen oder Binkel=freidreschender Brotweizen) und Emmer stammt. Deshalb können allein durch die Entstehungsgeschichte im Dinkel immer auch Weizenbestandteile enthalten sein. Außerdem wurden beide Getreidearten im Laufe der Evolution auch oft nebeneinander angebaut, so dass es zu natürlichen Kreuzungen auf dem Feld kam beziehungsweise immer noch kommt.

 

Zöliakie, Weizenallergie oder Weizensensitivität?

Es ist wichtig zwischen Zöliakie, Weizenallergie und der sogenannten Glutenunverträglichkeit beziehungsweise Weizensensitivität (non coeliac gluten sensitivity, abgekürzt NCGS) zu unterscheiden, da sich die Ernährungsempfehlungen unterscheiden:

  • Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung. Die lebenslange chronisch-entzündliche Darmerkrankung manifestiert sich bei Personen mit genetisch-determiniertem Risiko und ist die Folge einer fehlgerichteten Immunantwort auf Gluten und verwandte Proteine. Menschen mit der Diagnose Zöliakie müssen sich strikt an eine glutenfreie Diät halten.
  • Weizenallergie ist eine immunologische Reaktion gegen Weizenproteine. Es handelt sich dabei quasi um einen Fehler des Immunsystems. Anstatt gegen Krankheiten zu kämpfen, bildet das Immunsystem Abwehrstoffe gegen den vermeintlichen Feind, die eigentlich harmlosen Eiweißbestandteile des Weizens. Bereits kleinste Mengen genügen, um Entzündungen auszulösen, die sich in Form verschiedener Symptome der Haut und anderer Organe bemerkbar machen. Die Weizenallergie entwickelt sich meist im Säuglingsalter und verliert sich dann im Laufe der Zeit.
  • Die Weizensensitivität beziehungsweise Weizenunverträglichkeit ist weder eine allergische noch eine autoimmune Erkrankung. Dennoch verursacht der Verzehr weizenhaltiger Speisen zöliakieähnliche Symptome. Zur Abgrenzung von Zöliakie und Weizenallergie wird sie in Fachkreisen meist als „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität“ beziehungsweise „celiac gluten sensitivity“ bezeichnet. Derzeit erfolgt die Diagnose nach dem Ausschlußprinzip: Konnten sowohl Zöliakie als auch Weizenallergie ausgeschlossen werden und die Beschwerden bessern sich nach zwei Wochen glutenfreier Ernährung deutlich oder verschwinden sogar, ist eine Weizensensitivität wahrscheinlich. Anders als bei Zöliakie ist eine strikte Diät nicht nötig, wobei die individuelle Verträglichkeitsschwelle sich stark unterscheidet.

 

Lösen Insektenabwehrstoffe die Weizensensitivität aus?

Weder Auslöser noch Entstehungsmechanismus der Weizenunverträglichkeit sind bisher definitiv geklärt, aber die Forschung hat das Thema in den letzten Jahren verstärkt aufgegriffen.
Dabei wurde auch eine mögliche Ursache entdeckt: Das Forschungsteam um Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan von der Gutenberg Universität Mainz verglich die Reaktionen des Immunsystems auf moderne Hochleistungsgetreide und auf alte und exotische Getreidesorten. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass nicht das Gluten, sondern die sogenannten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (kurz ATI genannt), eine Gruppe von Eiweißen, für die Symptome verantwortlich sind. Aufgrund dieser neuesten Befunde sprechen wir hier auch bewusst nicht von einer Gluten-Sensitivität. ATI sind natürliche Pflanzeninhaltsstoffe zur Abwehr von Insekten. Es wird vermutet, dass sie bei betroffenen Personen eine Immunreaktion auslösen und der Körper darauf mit Entzündungen reagiert. Vor allem moderne „Hochleistungsgetreide“-Sorten haben durch gezielte Kreuzung einen höheren ATI-Gehalt, da sie das resistenter gegen Schädlinge und ertragreicher macht.
Auch die biodynamischen Getreidezüchter haben dazu ein Untersuchungsprojekt gestartet. Ein ähnliches läuft an der Universität Hohenheim.
Dennoch können aufgrund der aktuellen Datenlage noch keine endgültigen Schlüsse gezogen werden. Fest steht jedoch, dass es nicht um Weizen oder Dinkel an sich geht. Die Unverträglichkeit ist vielmehr abhängig von der Sorte und der Art, wie gezüchtet wurde – in welcher Umgebung, mit welchen Methoden und mit welchem Pflanzenleitbild? Biodynamischer Dinkel wird so oft auch von vielen Menschen mit Weizenunverträglichkeit vertragen. Diese Erkenntnis konnten die biodynamischen Züchtungsbetriebe aus ihrer Erfahrung aus den Rückmeldungen von Kunden ziehen.

 

Biodynamischer Dinkel: Besonderheiten & Anbau

Dinkel (Triticum spelta), auch Spelz oder Spelzweizen genannt, bildet eine kriechende Jungpflanze mit stark behaarten jungen Blättern aus und bringt 3- bis 4-blütige Ähren mit meist zwei bis drei Körnern hervor. Der Spelzenanteil liegt bei 20 bis 30 Prozent. Die Spelzen schützen die Körner vor  Schaderregern und Ährenkrankheiten.
Im Anbau ist Dinkel verhältnismäßig anspruchslos. Er eignet sich besser als Weizen für ungünstigere Standorte. Sowohl trockene als auch feuchte Grenzlagen des Ackerbaus bis 1.000 m Höhe ermöglichen noch zufriedenstellende Erträge. Außerdem ist Dinkel aufgrund seiner hohen Toleranz gegenüber extremen Klimaverhältnissen sehr winterhart. Die Kulturpflanze bevorzugt alkalische, schwere Böden und meidet saure Sandböden und Moorstandorte.
In der Fruchtfolge steht Dinkel auf fruchtbaren Böden  in der Regel wegen der Lagergefahr weiter hinten als Weizen. Der optimale Saattermin liegt je nach Standort zwischen Anfang und Ende Oktober, wobei Dinkel sehr spätsaatverträglich ist. Im Frühjahr hingegen entwickelt sich der Dinkel wegen der langsamen Bodenerwärmung und späten Mineralisierung nur zögerlich.

 

Biodynamische Züchtung & Sorten

Biodynamische Dinkelsorten sind zum Beispiel:

  • Oberkulmer Rotkorn: Die langstrohige, alte Sorte ist vor allem in Süddeutschland und Schweiz sehr beliebt. Es handelt sich dabei um eine Selektion aus einer Schweizer Landsorte. Die Sorte hat einen sehr hohen Feuchtklebergehalt und eignet sich für raue und flachgründige Grenzlagen. Oberkulmer Rotkorn repräsentiert die traditionellen Dinkel-Sorten und wird häufig auch als „Hildegard-Dinkel“ vermarket. Dabei sollte man jedoch bedenken, dass es zu Lebzeiten von Hildegard von Bingen nicht nur eine Dinkelsorte gab, sondern eine Vielfalt existierte, die wir heute gar nichtmehr kennen.
  • Ebners Rotkorn ist eine eher ertragsschwache Sorte mit hohem Rohprotein- und Feuchtklebegehalt. Sie ist lang im Wuchs und besitzt eine mittlere Lageranfälligkeit. Laut Angabe des Züchterhauses enthält Ebners Rotkorn keine „Weizengene“.
  • Titan ist eine langstrohige Sorte mit dichten, weißen, aufrechten Ähren und einem mittlerem Ertragsniveau. Sie wurde aus einem Pool alter Dinkelsorten gezüchtet, aus dem viele Eigenschaften eingeflossen sind. Eingekreuzt wurden zum Beispiel die alten Landsorten Willisau 17 sowie Altgold Rotkorn, von der die aufrechte, weizenähnliche Ährenform stammt. Auch Weizen wurde eingekreuzt, wobei der Weizenanteil rein rechnerisch minimal ist. In der Schweiz gab es eine Weile die Klassifizierung „reiner Dinkel“ und Dinkel mit einer Weizeneinkreuzung (ermittelt durch Elektrophorese). Demnach ist Titan ein „reiner Dinkel“.

 

Dinkel in den NATURATA-Teigwaren

In den NATURATA Dinkel-Teigwaren ist vor allem die Sorte „Oberkulmer Rotkorn“ enthalten, da diese auch auf kargem Boden wächst und sich so ideal für die Schwäbische Alb eignet. Ein großer Pluspunkt der Sorte ist, dass sie aufgrund ihrer Beliebtheit sehr viel angebaut wird und es einen großen Erfahrungsschatz dazu gibt. Aus zahlreichen Rückmeldungen können wir so den Schluss ziehen, dass Oberkulmer Rotkorn auch für Menschen mit Weizenunverträglichkeit geeignet ist.
Neben dem Oberkulmer Rotkorn werden jedoch auch weitere biodynamische Sorten angebaut, da beim Dinkel die Biodiversität sehr gering ist. Ganz ohne eine Züchtung und Weiterentwicklung der Sorten würden sich diese zu weit von den realen Bedingungen entfernen. Da uns die wertvolle Kulturpflanze sehr am Herzen liegt und wir wollen, dass sie auch in Zukunft angebaut wird, wollen wir dies vermeiden. Denn eine Anpassung an Klima und Bodenbeschaffenheit ist überlebensnotwendig.

Übrigens: In der „Schrot & Korn“ Ausgabe 12/2015 finden Sie einen ausführlichen Artikel zu der langjährigen Partnerschaft mit der Demeter-Erzeugergemeinschaft, von der wir seit über 20 Jahren den Dinkel beziehen.

 

Dinkelähren

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